Taijiquan-Prinzipien im Konfliktmanagement |
Zum Thema "Taijiquan-Prinzipien im Konfliktmanagement" ist ein Artikel von uns im
Taijiquan & Qigong Journal erschienen. |
Die Anwendung einer Kampfkunst wie Taijiquan ist Konfliktbewältigung auf
zunächst scheinbar körperlicher Ebene. Beim nähreren Betrachten der
zugrundeliegenden inneren Prinzipien des Taijiquan erkennt man aber, daß sich
diese Prinzipien auch im Konfliktmanagement anwenden lassen. Diese
Konfliktbewältigungsstrategien werden durch das Taijiquan-Üben körperlich
erfahrbar, und können dadurch besser im Organismus verankert werden. |
Ab und zu hört oder liest man, daß sich die Taiji-Prinzipien auch im Alltag
anwenden lassen, bzw. daß eigentlich gar kein Unterschied zwischen dem
Taiji-Üben und dem Rest des Tages besteht, wenn man das Taiji erst verwirklicht hat.
Etwas weniger philosophisch abstrakt wollen wir hier konkret die praktische Anwendbarkeit
einiger Taiji-Prinzipien als Grundlage für Konfliktbewältigungsstrategien
untersuchen. |
Prinzipien im Taijiquan
Im Taijiquan geht es weniger darum zu gewinnen, sondern eher um die umfassende Entwicklung
aller Beteiligten. Allein diese Erkenntnis ist schon eine hervorragende Grundlage für
jedes Konfliktmanagement.
Das wichtigste Prinzip im Taijiquan ist das Yin/Yang-Prinzip. Yin und Yang bezeichneten
ursprünglich die Schatten- bzw. Sonnenseite eines Berges. Aus dem Wuji (Nicht
Äußeres - Das Undifferenzierte - Potential; symbolisiert durch einen leeren
Kreis) entsteht das Taiji (Größtes Äußeres - Das Differenzierte -
Manifestation; symbolisiert durch den Kreis mit den beiden Anteilen Yin und Yang).
Das Taiji stellt die Einheit der ihm innewohnenden Polaritäten Yin und Yang dar.
Diese ergänzen und bedingen sich somit gegenseitig und können nicht
auseinandergebracht und isoliert werden. Yin und Yang sind untrennbar miteinander
verbunden.
Die Anwendung des Yin/Yang-Prinzips in der Kampfkunst bedeutet den Versuch, mit dem Gegner
das Taiji zu bilden, d.h. die Yin- oder Yang-Energie des Angreifers zu neutralisieren,
indem man die Position der jeweils anderen Polarität einnimmt, so daß sich in
der Einheit der beiden Partner die Energien zum Taiji ergänzen.
Wenn der Partner Yin zeigt, ergänze durch Yang zum Taiji, wenn der Partner Yang ist,
ergänze durch Yin zum Taiji.
Das geht nur, wenn man ohne die Absicht auf jeden Fall
entweder Yang oder Yin zu gebrauchen in die Auseinandersetzung eintritt. Im Taijiquan darf
man also nicht versuchen die Situation gemäß seinen eigenen gedanklichen
Vorstellungen zu manipulieren, sondern man muß sich ganz auf die gegebene Situation
einlassen, in den Prozess eintauchen und mitschwimmen. Der Herausforderer liefert die
Energie zur Lösung des Problems, diesem Energiefluß gilt es sich
anzuschließen und keinen Widerstand zu bieten, um damit die Konfrontation aufzuheben.
Wenn der Herausforderer auf seinem Willen besteht, wird er ins Leere laufen; läßt
er sich auf die neue Situation ein, kann eine Lösung gefunden werden, die sich
absichtslos aus dem gegenwärtigen Prozess entwickeln wird. Diesem Prozess zu vertrauen
und ihm folgen, drückt sich auch in dem daoistischen Prinzip des Wu wei aus,
was in etwa bedeutet "nicht gegen den natürlichen Lauf der Dinge handeln",
oder "Handeln durch Nichttun". |
Anwendung der Taiji-Prinzipien im Konfliktmanagement |
1. Wuji - Zentrierung/Verwurzelung
Am Anfang gilt es den Weg der Selbsterforschung einzuschlagen "wer bin ich?".
Wo und was ist mein Zentrum? Diese Zentrierung führt zunächst weg vom Kopf und
hin zum Bauch, in dem sich unser wichtigstes Energiezentrum befindet, das die Chinesen
Dantien und die Japaner Hara nennen. Zunächst kann man durch körperliche Ruhe
(liegen, sitzen, stehen) und innere Achtsamkeit (z.B. über den Fluß des Atems)
lernen, dieses Zentrum zu spüren, zu stärken und so die eigene Mitte finden.
Dies wird von der Außenwelt als Zentrierung und Festigung des Betreffenden erlebt.
Im Verhältnis zur Umwelt nehmen wir eine klare Position ein und sind uns jederzeit
dieser Position und ihrer Wurzeln bewußt.
Aus der zentrierten, aufrecht stehenden Position heraus ist es nun wichtig, die innere
Aufmerksamkeit vom Bauch weiter abwärts in die Beine und Füße sinken
zu lassen, den bewußten Kontakt mit der tragenden Erde aufzunehmen und die eigenen
Wurzeln in der Erde zu spüren. Wir kommen aus der Erde und werden wieder zu Erde.
Die Grenze zwischen unserem Körper und der Erde verschwimmt, wir können die
Einheit mit der Erde spüren, unser gemeinsamer Schwerpunkt mit der Erde liegt sehr
tief. Aus dieser Verwurzelung kann uns keine externe, isolierte Krafteinwirkung mehr
trennen, da wir alle auf uns einwirkende Energie einfach an die Erde weiterleiten.
Gleichzeitig können wir für unsere Aktivitäten die Energie der Erde
anzapfen, sofern wir mit ihr bewußt verbunden bleiben und keine ego-zentrischen
Ziele verfolgen, da sonst die Verbindung mit der Erde unterbrochen wird.
Taijiquan-Übungen zu diesem Prinzip wären beispielsweise die Grundhaltung,
die Stehende Säule (Zhanzhuanggong) und das stabile Stehen gegen seitlichen Druck.
Haben wir dieses Prinzip verinnerlicht, so hilft es uns, in Konfliktsituationen klare
Positionen zu beziehen, deutliche Grenzen zu setzen und uns nicht provozieren zu lassen.
Die eigene Meinung kann ruhig vertreten werden und bei persönlichen Angriffen
(Beleidigungen, Diffarmierungen) können selbstbewußt die Grenzen aufgezeigt
und Übergriffe zurückgewiesen werden.
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2. Yin - Angriff neutralisieren
Es wird berichtet, daß Yang Jian Hou (zweiter Sohn Yang Lu Chans) die Fähigkeit
besaß, jede Kraft, die auf ihn einwirkte, zu neutralisieren. Ein Spatz, der auf
seiner Hand saß, konnte nicht wegfliegen. Wenn der Spatz wegfliegen möchte,
braucht er einen festen Grund, von dem er sich abstoßen kann. Yang Jian Hou konnte
die Energie der Vogelfüße "hören" und gab dem Druck des Spatzes
nach unten nach. Damit neutralisierte er ihn, so daß der Vogel keinen Widerstand
fand und nicht abheben konnte.
In der Praxis erweist sich die Rolle des Blinden in der "Blindenführung"
als gute Yin-Übung. Weitere Taijiquan-Übungen zu diesem Prinzip wären das
"Schmelzen" oder der "Moskito".
In einem Konflikt kann uns dieses Prinzip dabei helfen, das "Aktive
Zuhören" anzuwenden und keine Angriffsfläche zu bieten. Damit kann bereits
eine Menge Spannung aus der Konfliktsituation herausgenommen werden, und wir lernen die
Motive hinter der Aggression des Konfliktpartners besser kennen. |
3. Yang - Leere auffüllen
Eine Schwäche, Lücke oder Leere in der Stellung des Gegners kann mit eigener
Yang-Energie aufgefüllt werden. Dies kann bis zu seiner Entwurzelung führen.
Beispielhaft sei hier die Taijiquan-Partnerübung "Seitliches Wegschieben"
angeführt.
Bezogen auf ein Konfliktmanagement kann dies bedeuten, daß man beispielsweise
Schwächen in der Argumentationskette (z.B. wenn ein Vorurteil oder eine unbewiesene
Behauptung Grundlage der Kette ist) des Partners offenlegt, und somit der gesamten
Argumentation den Boden entzieht. Dabei bleibt man selber auf seinem Weg und setzt sich
unter Ausnutzung der Schwächen des Gegners durch. |
4. Yin/Yang - Energie umlenken
Mit diesem Prinzip kombinieren wir die beiden vorangegangenen: Zunächst
neutralisieren wir die Kraft die auf uns einwirkt, indem wir keinen Widerstand bieten
(Yin). Dadurch beschleunigen wir den Angreifer in seiner Vorwärtsbewegung und nehmen
seine abgegebene Energie auf. Irgendwann kommt es zu dem Punkt, daß der Angreifer
seine expansive Bewegung stoppen muß um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten
(stoppt er sie nicht, bringt er sich selbst zu Fall). In dem Augenblick, da er eine
rückgerichtete Bewegung einleitet (Yin), füllen wir die entstehende Lücke
sofort mit der zuvor absorbierten Energie auf (Yang). Damit verstärken wir seine
eigene Rückwärtsbewegung in hohem Maße und der Angreifer läuft
große Gefahr aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Es gibt eine Reihe von Taijiquan-Übungen, die dieses Prinzip illustrieren, z.B.:
die "Algen-Übung", die Beckendrehung bei Frontalangriff,
den "Drehtür-Effekt", und den "Wattekreis".
Im Konfliktmanagement zeigt sich dieses Prinzip in Techniken wie beispielsweise
"den Ball zurückspielen", d.h. Rückfragen stellen etc. Oder verbale
Angriffe des Konfliktpartners indirekt wiederholen. |
5. Qi-Energiefluß - Entspannt bleiben
Damit Qi im Körper ungehindert zirkulieren kann, dürfen im Körper keine
An- und Verspannungen vorliegen. Eine entspannte Armmuskulatur ist die Voraussetzung
für erfolgreiches Pushen. Wird dagegen Armkraft eingesetzt, unterbricht der
Qi-Fluß und die Resultate sind eher bescheiden.
Gerade für Unerfahrene in den Kampfkünsten ist es oft schwer vorstellbar,
wie mit entspannten Armen eine andere Person aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann.
Eine sehr schöne Übung zur Demonstration des Qi-Flusses ist der "Unbeugsame
Arm":
Hierbei hebt eine Person einen Arm seitlich an. Die Hand befindet sich etwa auf
Schulterhöhe, der Arm ist im Ellbogenbereich leicht gebeugt. Im ersten Teil der
Übung versucht diese Person nun durch starke Anspannung der gesamten Armmuskulatur
den Arm so stabil zu machen, daß ein Partner nicht in der Lage ist, den Arm im
Ellbogengelenk zu beugen. Meist wird der Person dies nicht gelingen.
Im zweiten Teil der Übung soll die Person nun die Armmuskulatur entspannen,
Ellbogen und Schulter sind schwer. Dann stellt man sich vor, Qi fließt durch
den Arm und verläßt den Arm durch die Hand. Hilfreich kann hier die
Vorstellung eines dicken Wasserschlauches (Feuerwehr) sein, durch den ein stetiger
Wasserstrom fließt. Ohne fließendes Wasser könnte man den Schlauch
leicht knicken, aber durch das fließende Wasser wird der Schlauch sehr stabil.
Ähnliches geschieht mit unserem Arm durch den Qi-Fluß. Wenn der Partner
nun versucht den Arm der Person zu beugen, wird es ihm nicht mehr gelingen.
Auch das "seitliche Anheben einer Person an den Armen" gehört in diese
Kategorie.
Daraus ergibt sich als Strategie für Konfliktsituationen nicht zu blockieren, im
Fluß des Geschehens zu bleiben und dadurch Kraft ohne Härte zu entwickeln.
Trotz möglichweise starker Angriffe kann die eigene Meinung und können Argumente
entspannt, ruhig und deutlich vertreten werden. |
6. Wu wei - Handeln durch Nicht-Tun
Auf Konfliktsituationen angewandt bedeutet dies, dem Gegner zu folgen wohin er auch geht
und dabei weder den Kontakt zu verlieren noch Widerstand zu bieten. Wir verbinden uns
mit dem Energiefluß und üben uns in Achtsamkeit. In seinen zunehmenden Anstrengungen
uns zu besiegen, wird sich unser Gengner früher oder später selbst in eine ungünstige
Position bringen.
Als praktische Übungen bietet sich hier PETER RALSTON'S Wu Tsan Ch'un (Misty-Body Boxing)
an. Wu Tsan Ch'un ist das konstante Bemühen dem Gegner jederzeit vollständig zu folgen,
zu versuchen ihn leicht zu treffen, aber nicht zuzulassen, dass er eine Unze Druck auf
uns ausübt. Das Ziel ist, sich vollständig in Übereinstimmung mit dem Gegner zu bewegen,
nicht zu widerstehen oder zu blockieren, und keine "Treffer" zuzulassen. Man hält ständig
Kontakt und weder beim Ausweichen noch zum Attackieren verwendet man Kraft. Unser Körper
ist wie Nebel für den Gegner; er kann uns nicht substanziell beherrschen, noch kann er
sich entziehen. Wir folgen jeder seiner Bewegungen, jedem seiner Gedanken. Alle Routinen,
Formen und Techniken werden jetzt anwendbar, frei und formlos. |
7. Taiji - Integration
Die Integration von Yin und Yang zum Taiji hilft uns, in Konfliktsituationen die
Gegensätze zu transzendieren; zu erkennen, daß die beiden Konfliktpositionen zwei
Spezialfälle (die beiden Pole) eines übergeordneten größeren Systems sind, sich
gegenseitig bedingen und nicht unabhängig voneinander existieren können. Damit ergibt
sich die Chance, den Konflikt in eine WIN-WIN-SITUATION für beide Konfliktparteien
zu überführen.
Als geeignete Partner-Taiji-Übung wäre hier eine Grundübung des Tuishou, das
"Horizontale Kreisen" zu nennen.
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Ausführliche pdf-Versionen mit Literaturzitaten und erklärenden Fußnoten
zu den praktischen Übungen:
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